Man kann über etwas sprechen, aber auch reden. Sprecher sprechen, können aber auch reden – wie Redner, die reden, auch sprechen. Warum gibt es zwei Verben für ein und dieselbe Art zu kommunizieren?
"Reden ist Silber, Schweigen ist Gold", sagt das Sprichwort. Und sprechen? Das scheint beides zu sein: Im sprechenden Schweigen kann Gold liegen, bei einem Redner, der stun-den-lang spricht, aber Silber. Kompliziert. Geht es nicht einfacher?
Zahl oder Wappen?
Ein gekipptes 5 Centstück, dass sich in dem schwarzen Hinter-/Untergrund spiegelt
"Sprechen" oder "reden" - eine Wahl wie Zahl oder Kopf?
Wer einen deutschen Muttersprachler fragt, was der Unterschied zwischen sprechen und reden ist, wird meist die Antwort bekommen: "Es gibt keinen." Sprachwissenschaftlich ausgedrückt: Beide Verben haben dieselbe Grundbedeutung – nämlich "mündlich kommunizieren" – und sind in vielen Zusammenhängen austauschbar.
Zum Beispiel kann man über etwas reden oder über etwas sprechen, laut oder leise reden und laut oder leise sprechen, zur Sache reden oder zur Sache sprechen, auf der Straße jemanden anreden oder ansprechen. Ist die Wahl zwischen sprechen und reden also Zufall ‒wie Zahl oder Wappen beim Werfen einer Münze? Nein; denn sie hängt noch von drei Faktoren ab: der regionalen Herkunft, der stilistischen Ebene und einem feinen Bedeutungsunterschied.
Der Süden redet, der Norden spricht
Die Wappen der 16 Bundesländer
Jedes Bundesland hat seine eigene dialektale "Färbung"
Die deutschen Dialekte kennen kein einheitliches Wort für "mündlich kommunizieren". Man verwendet dafür – je nach Region– Verben wie schwätzen, schnacken, plaudern, reden, babbeln, sprechen. Am meisten verbreitet sind reden und sprechen, die im Süden beziehungsweise Norden des deutschen Sprachgebiets vorherrschen.
Dieser dialektale Nord-Süd-Unterschied färbt auf das Hochdeutsche ab: Ein süddeutscher Autor wird deshalb im Zweifel reden bevorzugen, ein norddeutscher sprechen.
Das Stilistische
Ein schwarz/weiß Portrait von Martin Luther mit der Bibel in seiner Hand
Zur Zeit Martin Luthers war das Wort "sprechen" geläufiger
Quantitativ gesehen kommen sprechen und reden in der Schriftsprache etwa gleich häufig vor ‒allerdings mit einer wichtigen Ausnahme: der Bibel. In der Bibelübersetzung Martin Luthers taucht sprechen viel häufiger auf als reden, weil es auch zur Einleitung einer direkten Rede dient. Zum Beispiel heißt es in der Schöpfungsgeschichte: "Gott sprach: Es werde Licht!". Heute müsste man übersetzen: "Gott sagte", aber zur Zeit Luthers – im Deutsch des 16. Jahrhunderts – wurde sprechen noch geläufig als redeeinleitendes Verb verwendet.
Über die Bibelsprache erhielt sprechen im Laufe der Zeit eine gehobene, ja feierliche Note: Deshalb wirkt "Wir müssen miteinander sprechen" formeller und gewichtiger als "Wir müssen miteinander reden". Verstärkt wird diese höhere Stilebene durch formelhafte Wendungen wie ein Urteil sprechen, schuldig sprechen, ein Machtwort sprechen, in denen das Verb sprechen nicht durch reden ersetzt werden kann.
Der feine Unterschied
Zwei Papageien sitzen Schnabel in Schnabel liebevoll nebeneinander
Manchmal muss weder geredet noch gesprochen werden!
Die Frage nach dem Bedeutungsunterschied zwischen sprechen und reden ist nicht neu. Eine Antwort gab bereits 1802 der Philosoph Johann August Eberhard. Diese trifft im Prinzip auch noch für die heutige Schriftsprache zu. Die Grundbedeutung beider Verben ist zwar "mündlich kommunizieren". Aber der Unterschied liegt in der Form der Kommunikation: sprechen ist eher formal, reden eher inhaltlich.