(15) Ich rannte mit meinen klatschnassen Pantoffeln in die Diele, fand den Knopf nicht, auf den ich drücken mußte. Während ich ihn suchte, fiel mir ein, daß Monika ja den Hausschlüssel hatte. Ich fand endlich den Knopf, drückte und hörte unten ein Geräusch, als ob eine Biene gegen eine Fensterscheibe brummte. Ich ging in den Flur raus, stellte mich neben den Aufzug. Das Besetztzeichen wurde rot, die Eins leuchtete auf, die Zwei, ich starrte nervös auf die Ziffern, bis ich plötzlich bemerkte, daß jemand neben mir stand. Ich erschrak, drehte mich um: eine hübsche Frau, hellblond, nicht übertrieben schlank, mit sehr lieben, hellgrauen Augen. Ihr Hut war für meinen Geschmack etwas zu rot. Ich lächelte, sie lächelte auch und sagte: »Sie sind sicher Herr Schnier - mein Name ist Grebsel, ich bin Ihre Nachbarin. Ich freue mich, Sie einmal leibhaftig zu sehen.« - »Ich freue mich auch«, sagte ich - ich freute mich wirklich. Frau Grebsel war trotz des zu roten Hutes eine Augenweide. Ich sah unter ihrem Arm eine Zeitung »Die Stimme Bonns«, sie sah meinen Blick, wurde rot und sagte: »Machen Sie sich nichts draus.« - »Ich werde den Hund ohrfeigen«, sagte ich, »wenn Sie wüßten, was das für ein mieser, heuchlerischer Vogel ist - und betrogen hat er mich auch, um eine ganze Flasche Schnaps.« Sie lachte. »Mein Mann und ich, wir würden uns freuen«, sagte sie, »wenn wir unsere Nachbarschaft einmal realisieren könnten. Bleiben Sie länger?« -»Ja«, sagte ich, »ich werde einmal klingeln, wenn Sie gestatten - ist bei Ihnen auch alles rostfarben ?« - »Natürlich«, sagte sie, »rostfarben ist doch das Kennzeichen des fünften Stocks.« Der Aufzug hatte auf der dritten Etage länger gehalten, jetzt wurde die Vier rot, die Fünf, ich riß die Tür auf und trat vor Erstaunen einen Schritt zurück. Mein Vater kam aus dem Aufzug, hielt die Tür der einsteigenden Frau Grebsel auf und wandte sich mir zu. »Mein Gott«, sagte ich, »Vater.« Ich hatte noch nie Vater zu ihm gesagt, immer nur Papa. Er sagte »Hans«, machte einen ungeschickten Versuch, mich zu umarmen. Ich ging vor ihm her in die Wohnung, nahm ihm Hut und Mantel ab, öffnete die Wohnzimmertür und zeigte auf die Couch. Er setzte sich umständlich. Wir waren beide sehr verlegen. Verlegenheit scheint zwischen Eltern und Kindern die einzige Möglichkeit der Verständigung zu sein. Wahrscheinlich hatte meine Begrüßung »Vater« sehr pathetisch geklungen, und das steigerte die Verlegenheit, die ohnehin unvermeidlich war. Mein Vater setzte sich in einen der rostfarbenen Sessel und sah mich kopfschüttelnd an: mit meinen klatschnassen Pantoffeln, nassen Socken, in dem viel zu langen Bademantel, der überflüssigerweise auch noch feuerrot war. Mein Vater ist nicht groß, zart und auf eine so gekonnt nachlässige Weise gepflegt, daß sich die Fernsehleute um ihn reißen, wenn irgendwelche Wirtschaftsfragen diskutiert werden. Er strahlt auch Güte aus, Vernunft, und ist inzwischen als Fernsehstar berühmter als er als Braunkohlenschnier je hätte werden können. Er haßt jede Nuance der Brutalität. Man würde, wenn man ihn so sieht, erwarten, daß er Zigarren raucht, keine dicken, sondern leichte, schlanke Zigarren, aber daß er Zigaretten raucht, wirkt bei einem fast siebzigjährigen Kapitalisten überraschend flott und fortschrittlich. Ich verstehe schon, daß sie ihn in alle Diskussionen schicken, bei denen es um Geld geht. Man sieht ihm an, daß er nicht nur Güte ausstrahlt, sondern auch gütig ist. Ich hielt ihm die Zigaretten hin, gab ihm Feuer, und als ich mich dabei zu ihm hinbeugte, sagte er: »Ich weiß ja nicht viel über Clowns, aber doch einiges. Daß sie in Kaffee baden, ist mir neu.« Er kann sehr witzig sein. »Ich bade nicht in Kaffee, Vater«, sagte ich, »ich wollte nur Kaffee aufgießen, das ist mir mißglüc