Es trifft zu und ist leicht gesagt, Sprache sei Material, und es materialisiere sich, wenn man schreibt, etwas. Wie aber könnte man erklären, dass da, - was gelegentlich festgestellt wird - etwas wie Leben entsteht, Personen, Schicksale, Handlungen - dass da Verkörperung stattfindet auf etwas so totenblassem wie Papier, wo sich die Vorstellungskraft des Autors mit der des Lesers auf eine bisher unerklärte Weise verbindet, ein Gesamtvorgang, der nicht rekonstruierbar ist, wo selbst die klügste, sensibelste Interpretation immer nur ein mehr oder weniger gelungener Annäherungsversuch bleibt, und wie wäre es erst möglich, jeweils den Übergang vom Bewussten ins Unbewusste - beim Schreibenden und beim Lesenden - mit der notwendigen totalen Exaktheit zu beschreiben, zu registrieren, und das dann auch noch in seiner nationalen, kontinentalen, internationalen, religiösen oder weltanschaulichen Verschiedenheit, und dazu noch das ständig wechselnde Mischungsverhältnis von beiden, bei beiden, dem Schreibenden und dem Lesenden und die plötzliche Umkehrung, wo das eine zum anderen wird, und in diesem plötzlichen Wechsel das eine vom anderen nicht mehr zu unterscheiden ist? Es wird immer ein Rest bleiben, mag man ihn Unerklärlichkeit nennen, Geheimnis meinetwegen, es bleibt und wird bleiben ein wenn auch winziger Bezirk, in den die Vernunft unserer Provenienz nicht eindringt, weil sie auf die bisher nicht geklärte Vernunft der Poesie und der Vorstellungskunst stösst, deren Körperlichkeit so unfassbar bleibt wie der Körper einer Frau, eines Mannes oder auch nur eines Tieres. Schreiben ist - für mich jedenfalls - Bewegung nach vorn, Eroberung eines Körpers, den ich noch gar nicht kenne, von etwas weg zu etwas hin, das ich noch nicht kenne; ich weiss nie, wie's ausgeht, ausgehen hier nicht als Handlungsausgang im Sinne der klassischen Dramaturgie - ausgehen hier im Sinne eines komplizierten und komplexen Experiments, das mit gegebenem, erfundenem, spirituellem, intellektuellem und sinnlich auf einander gebrachtem Material Körperlichkeit - und das auf Papier! - anstrebt. Insofern kann es gar keine gelungene Literatur geben, könnte es auch keine gelungene Musik und Malerei geben, weil keiner den Körper, den er anstrebt, schon gesehen haben kann, und insofern ist alles, was man mit einem oberflächlichen Wort modern, was man besser lebende Kunst nennen sollte, Experiment und Entdeckung - und vorübergehend, nur in seiner historischen Relativität schätzbar und messbar, und es erscheint mir nebensächlich, von Ewigkeitswerten zu sprechen, sie zu suchen.