Schoenberg: Erwartung, Op. 17 - 5. Das Mondlicht Nein Dort
Das Mondlicht … nein dort … Da ist der schreckliche Kopf … das Gespenst … (Sieht unverwandt hin:) Wenn es nur endlich verschwände … wie das im Wald … Ein Baumschatten, ein lächerlicher Zweig … Der Mond ist tückisch … weil er blutleer ist, malt er rotes Blut … (Mit ausgestreckten Fingern hinweisend, flüsternd:) Aber es wird gleich zerfließen … Nicht hinsehen … Nicht darauf achten … Es zergeht sicher … wie das im Wald … (Sie wendet sich mit gezwungener Ruhe ab, gegen die Straße zu:) Ich will fort … ich muß ihn finden … Es muß schon spät sein … (Schweigen. Unbeweglichkeit. Sie wendet sich jäh um, aber nicht vollständig. Fast jauchzend:) Es ist nicht mehr da … Ich wußte … (Sie hat sich weiter gewendet, erblickt plötzlich wieder den Gegenstand:) Es ist noch da … Herrgott im Himmel … (Ihr Oberkörper fällt nach vorne, sie scheint zusammenzusinken. Aber sie kriecht mit gesenktem Haupt hin:) Es ist lebendig (tastet:) Es hat Haut … Augen … Haar … (Sie beugt sich ganz zur Seite, als wollte sie ihm ins Gesicht sehen:) Seine Augen … es hat seinen Mund … Du … du … bist du es … Ich habe dich so lang gesucht … Im Wald und … (an ihm zerrend:) Hörst du? Sprich doch … Sieh mich an … (Entsetzt, beugt sich ganz. Atemlos:) Herrgott, was ist … (schreiend, rennt ein Stück fort:) Hilfe … (Von ferne zum Hause hinauf:) Um Gotteswillen! … rasch! … hört mich denn niemand? … er liegt da … (schaut verzweifelt um sich.) (Eilig zurück unter die Bäume:) Wach auf … wach doch auf … (flehend:) Nicht tot sein … mein Liebster … Nur nicht tot sein … ich liebe dich so. (Zärtlich, eindringlich:) Unser Zimmer ist halbhell … alles wartet … die Blumen duften so stark … (Die Hände faltend, verzweifelnd:) Was soll ich tun … Was soll ich nur tun, daß er aufwacht? … (Sie greift ins Dunkel hinein, faßt seine Hand:) Deine liebe Hand … (zusammenzuckend, fragend:) So kalt? … (Sie zieht die Hand an sich, küßt sie. Schüchtern schmeichelnd:) Wird sie nicht warm an meiner Brust? (Sie öffnet das Gewand:) Mein Herz ist so heiß vom Warten … (Flehend, leise:) Die Nacht ist bald vorbei … Du wolltest doch bei mir sein diese Nacht. (Ausbrechend:) Oh! es ist heller Tag … Bleibst du am Tage bei mir? … Die Sonne glüht auf uns … deine Hände liegen auf mir … deine Küsse … mein bist du … du … Sieh mich doch an, Liebster, ich liege neben dir … So sieh mich doch an … (Sie erhebt sich, sieht ihn an, erwachend:) Ah! wie starr … Wie fürchterlich deine Augen sind … (Laut aufweinend:) Drei Tage warst du nicht bei mir … Aber heute … so sicher … Der Abend war so voll Frieden … Ich schaute und wartete … (ganz versunken:) Über die Gartenmauer dir entgegen … So niedrig ist sie … Und dann winken wir beide … (Aufschreiend:) Nein, nein … es ist nicht wahr … Wie kannst du tot sein? … Überall lebtest du … Eben noch im Wald … deine Stimme so nah an meinem Ohr … immer, immer warst du bei mir … dein Hauch auf meiner Wange … deine Hand auf meinem Haar … (Angstvoll:) Nicht wahr … es ist nicht wahr? Dein Mund bog sich doch eben noch unter meinen Küssen … (wartend:) Dein Blut tropft noch jetzt mit leisem Schlag … Dein Blut ist noch lebendig … (Sie beugt sich tief über ihn:) Oh! der breite rote Streif … Das Herz haben sie getroffen … (Fast unhörbar:) Ich will es küssen … mit dem letzten Atem … dich nie mehr loslassen … (richtet sich halb auf:) In deine Augen sehn … Alles Licht kam ja aus deinen Augen … mir schwindelte, wenn ich dich ansah … (In der Erinnerung lächelnd, geheimnisvoll, zärtlich:) Nun küss ich mich an dir zu Tode. (Tiefes Schweigen. Sie sieht ihn unverwandt an. Nach einer Pause plötzlich:) Aber so seltsam ist dein Auge … (verwundert:) Wohin schaust du? (Heftiger:) Was suchst du denn? (Sieht sich um; nach dem Balkon:) Steht dort jemand?