Die nächtliche Welt der Toten und Träumer – der Friedhof der Vergangenheit. Zerfetzte Fahnen, welke Blumen, bemooste Steine und modernde Erinnerung. Ein Erhängter baumelt an einem Seil – Luigi Lucheni, Elisabeths Attentäter. Aus dem Nichts klingt die Stimme des Richters. Ihr antwortet Lucheni, während er sich vom Seil losschneidet und auf die Bühne springt.
STIMME DES RICHTERS (gesprochen): Aber warum, Lucheni? Warum haben sie die Kaiserin Elisabeth ermordet?
LUCHENI (gesprochen): Alla malora!
STIMME DES RICHTERS (gesprochen): Antworten Sie, Luigi Lucheni!
Aus dem Dunkel des Vergessens treten Geister einer versunkenen Welt ins Licht der Erinnerung. In dem nach und nach entstehenden Tableau erkennen wir einige berühmte Gestalten des 19. Jahrhunderts. Sie beobachten Lucheni.
LUCHENI (gesprochen): Warum, warum... Nacht für Nacht dieselbe Frage, seit hundert Jahren! Was soll die Fragerei? Merda. Ich bin tot!
STIMME DES RICHTERS (gesprochen): Das gemeine Attentat auf die Kaiserin von Österreich...
LUCHENI (gesprochen): Va a farti fottere!
STIMME DES RICHTERS (gesprochen): Nennen Sie endlich die Hintergründe!
LUCHENI (gesprochen): Die Hintergründe? Ich habe sie ermordet, weil sie es wollte.
STIMME DES RICHTERS (gesprochen): Reden Sie keinen Unsinn!
LUCHENI (gesprochen): Sie wollte es. Dafür gibt es ehrenwerte Zeugen.
STIMME DES RICHTERS (gesprochen): Was für Zeugen sollen das sein?
LUCHENI (gesprochen): Ihre Zeitgenossen, bitte sehr! Kommen alle nicht zur Ruhe... und reden immer noch von... Elisabeth!
DIE TOTEN: Versunken ist die alte Welt; verfault das Fleisch, verblasst der Glanz. Doch wo sich Geist zu Geist gesellt, da tanzt man noch den Todestanz... Lust, Leid – Wahnsinn, der uns treibt. Not, Neid – Pflicht, die uns erdrückt. Traum, Tran – alles, was uns bleibt: Wunsch, Wahn, der die Welt verrückt... Elisabeth, Elisabeth – selbst hier bist du von uns getrennt. Ein Rätsel, das kein Geist errät, ein Zeichen, das kein Mensch erkennt. Scheu, schwach – glücklich und verflucht. Wild, wach – einsam und begehrt. Arm, reich – was hast du gesucht? Hart, weich – was hat dich zerstört?
LUCHENI: Niemand war so stolz wie sie. Sie verachtet euch. Sie hat gelacht über euch.
DIE ANDEREN TOTEN (gleichzeitig): Wir dem Tod geweiht...
LUCHENI: Niemand hat sie je verstanden, nie gab sie die Freiheit auf. Sie wollte in das Dunkel blicken.
DIE ANDEREN TOTEN (gleichzeitig): ... Verwöhnt. Bedroht. Sie hat erseht, was wir verfluchten. Was uns erschrak hat sie geliebt.
ALLE TOTEN & LUCHENI: Alle tanzten mit dem Tod – doch niemand wie Elisabeth. Alle tanzten mit dem Tod – doch niemand wie Elisabeth Alle tanzten mit dem Tod – doch niemand wie Elisabeth. Alle tanzten mit dem Tod – doch niemand wie Elisabeth.
Die Musik bricht ab. Die Toten erstarren. Effekt. Plötzlich steht der Tod mitten unter den Gestalten. Lucheni bleibt unbeeindruckt. Er spielt den Zeremonienmeister.
LUCHENI (gesprochen): Attenzione! Seine Majestät der Tod!
Das Thema des Todes klingt auf. Der Tod ist jung, attraktiv und erotisch. Er gleicht einer androgynen Kultfigur aus dem Pop-Bereich und erinnert an eine idealistische Darstellung des jungen Heinrich Heine. Auch der Tod denkt an die Zeit von Elisabeth zurück.
TOD: Was hat es zu bedeuten: dies alte Lied. Das mir seit jenen Zeiten die Brust durchglüht? Engel nennen’s Freude, Teufel nennen’s Pein, Menschen meinen, es muss Liebe sein. Mein Auftrag heißt zerstören. Ich tu es kalt. Ich hol, die mir gehören, jung oder alt. Weiß nicht, wie geschehn kann, was es gar nicht gibt – Doch es stimmt: Ich habe si