Sie wohnt in Unterosterhofen. Der Ort ist fast ein Paradies. Er liegt in Bayern, an der Donau. Und ich, ich wohne in Paris. Paris ist auch nicht schlecht zum Leben, und trotzdem fühle ich mich ziemlich mies.
Ich bin, ich bin in Paris, sie ist in Bayern, der Weg dorthin, der ist so weit. Achthundertvierzig Kilometer, das kostet Geld, das kostet Zeit. Und trotzdem will ich sie besuchen, auch wenn es regnet, hagelt oder schneit.
Ich geh von meiner Haustür zu Fuß zur Place Pigalle, dort steig' ich in die Metro und fahre bis Etoile. Dort wartet schon der Bus der Air France nach Charles de Gaulle. Ich bin noch in Paris und fühl' mich doch wieder wohl, denn ich bin schon unterwegs, unterwegs zu ihr ins Tirol – oder was? oder wo? …
Sie wohnt in einem kleinen Zimmer in einem winzig kleinen Haus, davor ein winzig kleiner Garten, das sieht total romantisch aus. Da möcht' ich hundert Jahre bleiben, bei meiner lieben süßen kleinen Maus.
Die liebe süße kleine Maus zeigt ihre Zähne: Sie ist nicht süß, sie ist nicht klein, und meine Maus, das wär' das Letzte! das will sie überhaupt nicht sein! Da soll ich gleich zu Hause bleiben, in ihr Haus komm' ich so nicht rein!
Das Flugzeug fährt zur Rollbahn, der Kapitän gibt Gas, wir fliegen steil nach oben, ja, das Fliegen, das macht Spaß! Schon ist Paris im Dunst verschwunden, wir fliegen übers Meer. Da kann doch was nicht stimmen – wo kommt das Wasser her? Dieses Meer zwischen Bayern und Paris, das überrascht mich doch sehr.
Ich hab sie einmal erst gesehen auf einem Bahnhof in Berlin. Ich war grad unterwegs nach Moskau über Hannover und Schwerin mit einem Aufenthalt in Warschau und Übernachtung in Tallin – immerhin.
Und sie, sie war, sie war grad auf dem Weg von Polen nach irgendeiner Stadt am Rhein. Sie wollt' sich eine Cola holen, da lud ich sie zu einer ein. Da schauten wir uns in die Augen und fühlten uns gleich nicht mehr so allein.
Das Flugzeug geht runter. In München liegt Schnee. Die S-Bahn in die Stadt kostet 10 Euro, das tut weh. Ein kalter Wind pfeift durch den Bahnhof. Die Gleise sind tot. Die Züge stehen still, alle Signale zeigen rot. Ich glaub', nach Unterosterhofen gibt es heut' ein allgemeines Fahrverbot.
Wir tauschten damals unsere Nummern, Handy und Festnetz-Telefon, vor dieser kleinen Imbissbude und fuhren bald danach davon. Ich fuhr nach Westen, sie nach Osten, oder andersrum, wen interessiert das schon …
Ich glaub', ich glaub', sie sagte mir auch ihren Namen. Yvonne, Helene, Anne-Marie … Den Namen hab' ich glatt vergessen, doch ihr Gesicht vergess ich nie. Die Nummern hab' ich längst verloren, mir bleibt nur noch ihre Physiognomie.
Ich hab' keine Adresse, ihren Namen weiß ich nicht. Wie soll ich sie da finden? Ich kenn' nur ihr Gesicht. Den Zug nach Unterosterhofen kann ich im Fahrplan nicht seh'n. Ich seh' nur einen Zug nach Mailand auf Gleis 13 steh'n. Ach was, dann nehm' ich eben den, ich hab' schon oft gehört, in Mailand ist es schön.
Sie wohnt in Unterosterhofen. Der Ort ist fast ein Paradies. Er liegt in Bayern, an der Donau. Ich war nie dort, ich fühl' mich mies. Das ist nicht wahr, es ist gelogen, am schönsten ist es nämlich in Paris!