Mein Herr, der Singer Meister-Schlag gewinnt sich nicht an einem Tag. In Nüremberg der grösste Meister mich lehrt die Kunst Hans Sachs! Schon voll ein Jahr mich unterweist er, dass ich als Schüler wachs'. Schuhmacherei und Poeterei, die lern' ich da alleinerlei: hab ich das Leder glatt geschlagen, lern' ich Vokal und Konsonanz sagen; wichst' ich den Draht erst fest und steif, was sich dann reimt, ich wohl begreif! Den Pfriemen schwingend, im Stich die Ahl', was stumpf, was klingend, was Mass, was Zahl - den Leisten im Schurz, was lang, was kurz, was hart, was lind, hell oder blind, was Waisen, was Milben, was Klebsilben, was Pausen, was Körner, was Blumen, was Dörner - das alles lernt' ich mit Sorg' und Acht. Wie weit nun, meint Ihr, dass ich's gebracht?
WALTHER Wohl zu ‘nem Paar recht guter Schuh'?
DAVID Ja, dahin hat's noch gute Ruh'! Ein »Bar« hat manch Gesätz' und Gebänd'; wer da gleich die rechte Regel fänd', die richt'ge Naht und den rechten Draht, mit gutgefügten »Stollen« den Bar recht zu versohlen. Und dann erst kommt der »Abgesang«; dass der nicht kurz und nicht zu lang und auch keinen Reim enthält, der schon im Stollen gestellt. Wer alles das merkt, weiss und kennt, wird doch immer noch nicht »Meister« genennt.
WALTHER Hilf Gott! Will ich denn Schuster sein? In die Singkunst lieber führ mich ein.
DAVID Ja, hätt' ich's nur selbst schon zum »Singer« gebracht! Wer glaubt wohl, was das für Mühe macht? Der Meister Tön' und Weisen, gar viel an Nam' und Zahl, die starken und die leisen, wer die wüsste allzumal! Der »kurze«, »lang'« und »überlang'« Ton, die »Schreibpapier«-, »Schwarz-Tinten«-Weis'; der »rote«, »blau'« und »grüne« Ton; die »Hageblüh«-, »Strohhalm«-, »Fengel«-Weis'; der »zarte«, der »süsse«, der »Rosen«-Ton; der »kurzen Liebe«, der »vergessne« Ton; die »Rosmarin«-, »Gelbveiglein«-Weis', die »Regenbogen«-, die »Nachtigall« -Weis', die »englische Zinn«-, die »Zimmtröhren«-Weis', »frisch' Pomeranzen«-, »grün' Lindenblüh«-Weis', die »Frösch'«-, die »Kälber«-, die »Stieglitz«-Weis', die »abgeschiedene Vielfrass«-Weis'; der »Lerchen«-, der »Schnecken«-, der »Beller«-Ton, die »Melissenblümlein«-, die »Meiran«-Weis', »Gelblöwenhaut«-, gefühlvoll »treu' Pelikan«-Weis', prunkend die »buttglänzende Draht«-Weis' ...
WALTHER Hilf Himmel! Welch endlos Tönegeleis'!
DAVID Das sind nur die Namen: nun lernt sie singen, recht, wie die Meister sie gestellt! Jed' Wort und Ton muss klärlich klingen, wo steigt die Stimm' und wo sie fällt; fangt nicht zu hoch, zu tief nicht an, als es die Stimm' erreichen kann; mit dem Atem spart, dass er nicht knappt und gar am End' Ihr überschnappt; vor dem Wort mit der Stimme ja nicht summt, nach dem Wort mit dem Mund auch nicht brummt. Nicht ändert an »Blum'« und »Koloratur«, jed' Zierat fest nach des Meisters Spur. Verwechseltet Ihr, würdet gar irr', verlört Ihr Euch und kämt ins Gewirr: wär' sonst Euch alles auch gelungen, da hättet Ihr gar »versungen!« Trotz grossem Fleiss und Emsigkeit ich selbst noch bracht' es nicht so weit. So oft ich's versuch' und ‘s nicht gelingt, die »Knieriem-Schlag«-Weis' der Meister mir singt. sanft Wenn dann Jungfer Lene nicht Hilfe weiss, greinend sing' ich die »eitel Brot- und Wasser«-Weis'! Nehmt Euch ein Beispiel dran und lasst vom Meister-Wahn! Denn »Singer« und »Dichter« müsst Ihr sein, eh' Ihr